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Sexuelle Unlust – ein gesellschaftliches Problem?

sexuelle Unlust - Woran selbst perfekte Paare scheitern

In meiner sexual- und paartherapeutischen Praxis ist sexuelle Unlust einer der häufigsten Gründe für eine Paartherapie, die Ursachen dafür können sehr vielfältig sein.

Inhaltsverzeichnis

Unlust als Ausdruck eines Paarkonfliktes

In vielen Fällen liegt einer Unlust ein Paarkonflikt zu Grunde, welcher oft nur peripher oder gar mit Sex zu tun. So kann zum Beispiel mangelnde Wertschätzung zu einer Verweigerung der Sexualität führen. „Wenn Du nicht netter, respektvoller mit mir umgehst, gebe ich dir auch nicht das, was du so gerne von mir möchtest!“ Ein „zu wenig an…“ oder Ein „zu viel von…“ in der Paarbeziehung kann sich dann stellvertretend in der Vermeidung von Sexualität manifestieren.

Das fatale ist: umso mehr ein Partner versucht, den anderen zum Sex zu motivieren (dies können auch durchaus kreative, wenig druckvolle Methoden sein), umso mehr verschließt sich der andere und die Ablehnung wird größer. Welche Dynamik hier abläuft, ist dem Betroffenen meist nicht bewusst, denn nach außen hin würde auch der vermeintlich lustlose Partner eigentlich gerne Sex haben und fühlt sich diesbezüglich unzulänglich. Es beginnt ein Teufelskreis – der eine will immer, der andere will nie – der sich immer mehr verfestigt.

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Nähe-Distanz-Konflikt

Menschen haben ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe und Distanz, nach Autonomie und Abhängigkeit, nach dem „wir“ und nach dem „ich“ in einer Paarbeziehung; in unserer Gesellschaft wird Nähe generell positiver bewertet als Distanz. Die Kunst besteht nun in einer „gesunden“ Balance zwischen diesen beiden Polen. Zuviel Nähe, zuviel Harmonie und eine „gute“ Erotik schließen sich in vielen Fällen leider aus. Oftmals kann man das gerade bei Paaren beobachten, die sich sehr nahe sind, die keine Geheimnisse voreinander haben, die sich sozusagen seelenverwandt fühlen; das manifestiert sich in sexueller Unlust – zumindest bei einem Partner.

Einige Paare aus meiner Praxis berichten, dass für sie die Beziehung eigentlich zu hundert Prozent perfekt wäre – gäbe es nicht diese Lustlosigkeit des anderen Partners. Offensichtlich haben Paare, die sich von Haus aus sehr nahe sind, häufig ein geringeres Bedürfnis nach Sex. Das wäre an sich noch kein Problem, doch meist ist das Nähebedürfnis der beiden unterschiedlich ausgeprägt.

Der Grund dafür ist, dass die sexuelle Verweigerung hier ein Versuch ist, verlorene Autonomie wieder zu erhalten. Um den Autonomieverlust eines Partners zu verhindern, kann das Verwenden einer „höheren Instanz“ ein Trick sein. Was ist damit gemeint? Beispielsweise entscheidet eine Münze oder ein Würfel (oder eine 3. Person – ein/e Therapeut/in), ob Sex stattfindet oder nicht. Dies funktioniert sowohl bei lustlosen Männern, als auch bei Frauen.

Sexuelle Unlust bei Männern

Wahrscheinlich kennt es jeder aus seinem Umfeld – sexuelle Unlust der Frauen ist gesellschaftlich akzeptierter, als die der Männer; der Mann wird immer noch als das potente, sexuell aktivere Geschlecht gesehen. Fast alle Männer, die an Unlust leiden, schämen sich dafür. Nicht erst einmal habe ich die Aussage gehört: „Ich bin sicher ihr erster männlicher Klient, der keine Lust verspürt!“

Sexuelle Unlust stellt für den Betroffenen einen Mangel, ein Defizit dar. Doch manchmal macht die Unlust auch einen gewissen Sinn! Wenn der Partner mich ärgert, er mich einengt etc., wieso sollte ich dann mit ihm intim werden? Da diese Überlegungen den Betroffenen häufig nicht bewusst sind, kann eine externe Person (Therapeut/in) dies dem Paar zugänglich machen.

Sexuelle Mythen

Wir leben in einer übersexualisierten Gesellschaft. Durch diese (vermeintliche) Offenheit entsteht der Eindruck, dass durch die ständige Verfügbarkeit und Präsenz von Erotik, auch das sexuelle Begehren ständig verfügbar sein muss. Ist die Lust zu wenig da, wird ein Pornofilm heruntergeladen, in einem Sex-Shop ein neues Spielzeug gekauft oder erotische Literatur gelesen. Einerseits kann die Enttabuisierung zu einer Erweiterung der eigenen sexuellen Kompetenzen führen, andererseits kann diese Fülle an sexuellem Angebot, die eigentlich die „Befreiung zur Lust“ als Ziel hat, oftmals zum „Zwang zur Lust“ führen.

Die Übersexualisierung wird von vielen daher paradoxerweise als Belastung erlebt, die sich nicht selten in Lustlosigkeit oder anderen sexuellen Funktionsstörungen (z.B. vorzeitiger Samenerguss) manifestiert. In den Medien wird zusätzlich gezeigt, wie „normale“ Sexualität in Partnerschaften auszusehen hat. Druck, Stress und unrealistische Erwartungshaltungen sind wesentliche Lustkiller.
Sexualität ist dann nicht nur mit Vergnügen verbunden, sondern auch mit Hemmungen, Missverständnissen – und damit auch mit Enttäuschungen. Gespräche mit dem Partner über die eigenen Erwartungen, sowie die Kenntnis des eigenen Körpers sind daher für eine erfüllte Sexualität unerlässlich.

Mythos 1: Normale Paare haben zwei bis drei Mal pro Woche Sex
Eine häufigere oder niedrigere Frequenz gilt demnach vermeintlich als abnorm. Dies nimmt den Spaß und die Leichtigkeit die Sexualität eigentlich haben sollte. Es gibt Paare, die nur wenig Sex haben (einmal alle zwei Monate) und damit trotzdem zufrieden sind, auch wenn sie damit nicht die Vorgaben aus den Medien erfüllen. Solange beide zufrieden sind, entsteht auch kein Problem; zum Problem wird es dann, wenn einer der Partner es als Defizit erlebt und unzufrieden ist. Übrigens: es gibt sogar Paare, die völlig ohne Sexualität glücklich leben!

Mythos 2: Zum richtig guten Sex gehört immer ein Orgasmus beider Sexualpartner
Und dass idealerweise möglichst gleichzeitig, was sehr schwer zu erfüllen ist. Das Resultat ist, dass Orgasmen vorgetäuscht werden um den anderen glücklich zu machen oder auch einfach nur um das Ende des Sexualaktes zu beschleunigen. Nach Spaß klingt das nicht, eher nach Druck und Arbeit – was es letztendlich auch ist.

Mythos 3: Sex ist es nur dann, wenn Geschlechtsverkehr stattfindet
Bei Sexualität geht es nicht nur um die sexuelle Penetration. Denken wir nur an erotische Massagen, manuelle Stimulieren, Oralverkehr. Das lineare Modell – Erektion -> Geschlechtsverkehr -> Höhepunkt – ist heutzutage überholt und auch langweilig. Denn alles was langweilt, bereitet auf Dauer meist keine Lust.

Mythos 4: Die Frau ist passiv, der Mann übernimmt beim Sexualakt die Führung
Viele denken das muss so sein: der Mann übernimmt beim Geschlechtsakt die Führungsrolle, die Frau agiert passiv und tut das, was Mann möchte. Das mag für viele aufgeschlossene Menschen jetzt altmodisch und eigenartig klingen, in vielen Partnerschaften wird das aber genauso praktiziert, keine Variationen, festgefahren – und damit auf Dauer langweilig.

Lustkiller Konfliktscheuheit?

In einer guten Partnerschaft wird wenig gestritten und falls doch, dann werden diese Konflikte möglichst rasch, rational und konstruktiv gelöst. Viele Paare trachten daher immer danach, einen Kompromiss zu finden. Doch warum dürfen nicht auch verschiedene Meinungen nebeneinander stehen? Akzeptieren wir doch dass es häufig kein „richtig“ oder „falsch“ gibt, nur Unterschiede. Ein selbst auferlegter Zwang zur Konfliktvermeidung kann die Unlust fördern. Menschen, die aus Angst vor einem Konflikt ihren Ärger hinunterschlucken oder wegrationalisieren, schaffen damit eine gute Voraussetzung für sexuelle Unlust.

Partnerbestimmte und selbstbestimmte Sexualität

Auch die Angst dem Partner die eigenen sexuellen Wünsche nicht zumuten zu können, kann Lustlosigkeit fördern. Dies betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Oft wird – aus Rücksicht oder Angst vor Ablehnung – das Ausleben bzw. Ansprechen gewisser Sexualpraktiken und sexueller Fantasien unterdrückt. Damit wird Sexualität auf dem vermeintlich kleinsten gemeinsamen erotischen Nenner (= partnerbestimmte Sexualität) gelebt. Ich tue nur das, von dem ich denke, es wird vom anderen positiv angenommen.

Doch die sexuellen Profile (Wünsche, Fantasien) beider Partner sind nie deckungsgleich, jeder der beiden hat gewisse sexuelle Vorlieben, die er dem anderen mitteilen und damit auch verhandelt werden kann. Das birgt damit natürlich auch das Risiko der Ablehnung, Enttäuschung oder Ärger. Das langfristige Unterdrücken der eigenen Bedürfnisse – und die damit oftmals verbundene sexuelle Langweile – führen häufig zu sexueller Unzufriedenheit und damit mittelfristig zu sexuelle Unlust.

Ein guter Therapeut kann helfen, die eigenen Wünsche bei sich zu akzeptieren und letztendlich auch dem Partner zu vermitteln. Die entscheidende Hürde, die in einer Paarbeziehung überwunden werden muss um den Sex wieder interessant zu gestalten, besteht also darin, dem Partner zu zeigen oder entdecken zu lassen, was erotisch „anturnt“.

Lustlosigkeit durch sexuelle Funktionsstörungen

Zu den sogenannten sexuellen Funktionsstörungen zählen z.B. Impotenz, vorzeitiger Samenerguss, arterielle Hypertonie oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. In den meisten Fällen haben diese Störungen keine körperlichen Ursachen, sondern der Ursprung ist in der Psyche zu finden. Auch hier findet sich derselbe Mechanismus: funktioniert der Sex nicht so wie erwartet, steigt die Angst zu Versagen und Frustration macht sich breit. Aus Angst vor Enttäuschung wird Sexualität lieber vermieden.

Sexualität hat einen nachweisbar positiven Einfluss auf das seelische und körperliche Wohlbefinden. Aber nicht nur der partnerschaftliche Sex kann dies bewirken, auch Selbstbefriedigung lässt den Hormonhaushalt steigen. Entscheidend ist allerdings nicht die Quantität, sondern die Qualität von Sex. Wird Sexualität als subjektiv gut erlebt, weist sie einen gesundheitlichen Nutzen auf. Wenn Gespräche mit dem Partner nicht weiterhelfen, empfiehlt es sich bei einem qualifizierten Therapeuten Hilfe zu suchen.

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