In jeder Beziehung stellt sich früher oder später das wunderbare Gefühl ein, den anderen in und auswendig zu kennen. Keine Stimmungsveränderung bleibt unbemerkt. Die Gedanken des anderen erscheinen offensichtlich. Das Ende eines jeden Satzes wird vorausgeahnt. Die rosarote Brille der Liebe ermöglicht es, das offene Buch mit dem Titel „mein Partner“ ohne Einschränkungen zu lesen. Doch wie soll man so richtig Streiten?
Doch ausgerechnet dieses Gefühl der vermeintlichen Allwissenheit sorgt in vielen Situationen dafür, dass es in der Beziehung zu Streit kommt: Die Überzeugung, genau zu wissen, was der andere eigentlich gemeint hat, führt zu Missverständnissen; Sätze werden unterbrochen und mit der vermuteten Endung versehen. Dass sich der Gegenüber daraufhin übergangen oder nicht ernst genommen fühlt, ist kaum verwunderlich.
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Besser richtig streiten als gar nicht
Misslungene Kommunikation muss nicht zwangsläufig der Grund für einen Streit sein, in jedem Falle sorgt sie aber für die Eskalation des (eigentlich harmlosen) Prozesses. Schließlich ist es vollkommen legitim, Gründe für Unzulänglichkeiten in der Beziehung zur Sprache zu bringen. Ohne Offenbarung eigener Gefühle würde dem Partner nicht einmal die Möglichkeit gelassen, an sich arbeiten zu können und somit bestimmte Verhaltensweisen zu ändern. Würde Schweigen um des lieben Friedens Willen die Beziehung dominieren, wären Frustration und Unzufriedenheit das Resultat, was der Partnerschaft langfristig mehr schadet als nützt.
[ad#ad-6]Charakteristika eines Paarkonfliktes
Streit zuzulassen und als Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung zu verstehen ist zwar sehr effektiv, jedoch nicht gerade leicht umsetzbar. Gerade, wenn es um den geliebten Partner geht, fällt es schwer, das eigene Streitverhalten objektiv zu reflektieren und zu rationalisieren. Konflikte in Beziehungen sind zumeist sehr affektgeladen; es dominieren Wut, Ärger, Frust, Trauer, Enttäuschung, Scham oder verletzter Stolz. Daher ist kaum verwunderlich, dass die Kommunikation bei Streitgesprächen häufig negativ entgleist.
Fühlt sich einer der Partner zu Unrecht beschuldigt oder gekränkt, sind destruktive oder verletzende Äußerungen häufig eine Art Selbstschutzreflex. Weiterhin kann vorkommen, dass sich das Gesagte aufgrund der geladenen Stimmung barscher anhört, als es eigentlich gemeint war oder Dinge geäußert werden, die den Gegenüber denunzieren und mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben. Selbst dann, wenn wir nichts sagen, senden wir Signale, die Auskunft über unsere Gedanken und Gefühle geben; ein abschätziger Blick, eine abwinkende Handbewegung, ein Kopfschütteln – der Mensch ist nicht in der Lage, nicht zu kommunizieren!
Das erschwert das richtig Streiten enorm, da manche Aktionen auch aus einer Art Reflex entstehen.
Die Komplexität menschlicher Kommunikation
Schulz von Thuns Arbeiten haben maßgeblich zum Verständnis der sozialen Kommunikation beigetragen. Um richtig streiten zu können ist es wichtig, die Grundprinzipien zu kennen, nach denen der zwischenmenschliche Austausch funktioniert. Mit seinem Modell liefert eben erwähnter Psychologe eine eingängige und leicht nachvollziehbare Erklärung für die Komplexität der Kommunikation.
Das Vier-Ohren-Modell
Demzufolge kann jede Aussage auf unterschiedliche Weisen ausgesprochen und ebenso vielfältig verstanden werden.
Die vier Ausprägungsformen sind:
- Sachinhalt (konkreter Informationsgehalt der Nachricht)
- Selbstoffenbarung (derjenige Anteil, der das Seelenleben kundgibt)
- Appell (das Ziel, das mit der Äußerung erreicht werden möchte)
- Beziehungshinweis (die Komponente, die Auskunft über die Beziehung gibt)
Unproblematisch verläuft die Kommunikation dann, wenn sich Sender und Empfänger der Äußerung auf gleicher Ebene befinden. Beispielsweise äußert der Partner „Heute siehst du besonders hübsch aus“. Auf Ebene des Sachinhalts wird also geäußert, dass die Partnerin hübsch aussieht; versteht sie die Äußerung auf gleiche Weise, wird ein „Danke“ folgen. Fatal ist, wenn die Aussage anders ausgelegt und als Beziehungshinweis gedeutet wird; unter solchen Umständen könnte die Antwort folgendermaßen ausfallen: „Ach, und gestern hast du mich wohl nicht hübsch gefunden?!“ – Ein Streit ist vorprogrammiert.
Die ideale (und obendrein sehr unterhaltsame) Veranschaulichung für das Senden und Empfangen von Nachrichten auf unterschiedlichen Ebenen ist der Sketch „Das Ei“ von Loriot. Das Ehepaar kommuniziert augenscheinlich zwar miteinander; tatsächlich reden sie jedoch aneinander vorbei.
Das Gesagte und das Gehörte bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen und dieser Sachverhalt führt zu Missverständnissen… Aus alle dem wird deutlich, dass das Wissen um die verschiedenen Seiten einer Nachricht unerlässlich ist, um Irrtümern vorzubeugen. Nur dann, wenn sowohl Sender als auch Empfänger selbstreflexiv und aufmerksam kommunizieren, können eventuelle Eskalationen vermieden werden.
Ich-Botschaften
Wird zum Thema Konfliktlösung recherchiert, taucht früher oder später der Begriff „Ich-Botschaft“ auf. Eine solche Aussage ist im Wesentlichen das, was Schulz von Thun als Selbstoffenbarung bezeichnet. Der Grundgedanke ist denkbar simpel und einleuchtend: Dem Partner sollte keine Absicht unterstellt werden (z. B. aufgrund des Irrglaubens, ihn besser zu kennen als er sich selbst); stattdessen sollte lieber über die eigenen Gefühle und Gedanken Auskunft gegeben werden.
Theoretisch hört es sich tatsächlich besser an, dem Partner die eigene Enttäuschung über einen ausgeblieben Anruf auszudrücken, statt ihm den Vorwurf zu machen, er würde nie anrufen und sei unzuverlässig – in praktischer und alltagstauglicher Hinsicht sind Ich-Botschaften jedoch nur eingeschränkt anwendbar. Jeder, der es schon einmal ausprobiert hat, wird dem zustimmen. Ständige, mit „ich“ beginnende Phrasen, wirken unauthentisch und muten egoistisch an. Unbestreitbar ist jedoch, dass der sinnvolle und sparsame Einsatz solcher Botschaften bei Themen, die einem besonders am Herzen liegen, sehr effektiv sein kann.
Was sollte bei einem Beziehungsstreit konkret berücksichtigt werden?
Neuere Ergebnisse der Konfliktforschung machen Hoffnung: Wie bereits dargelegt wurde, ist Streit durchaus gesund und gehört zu einer gut funktionierenden Partnerschaft dazu. Darüber hinaus ist es prinzipiell jedem Menschen möglich, richtig streiten zu lernen. An die Hand gegeben werden können einige Ratschläge, deren Befolgung dazu verhelfen kann, ein künftiges Streitgespräch mit dem Partner vernünftig führen zu können – auch ohne Inflation der Ich-Botschaft!
Verschiedene Stile der Konfliktlösung
In einer Hamburger Studie zum Thema hat sich herauskristallisiert, dass es Streitverhaltensweisen zwischen Partnern gibt, die besonders schädlich für die Beziehung sein können:
- impulsives, kämpferisches Streiten
- voreiliger Rückzug aus der Konfliktsituation
- zu starke Nachgiebigkeit
Ist ein Paar hingegen darum bemüht, den Streit durch die Findung von Kompromissen beizulegen, kann die Beziehung vom Konflikt profitieren und dahingehend verändert werden, dass die Zufriedenheit aller Beteiligter gewährleistet wird.
Nachfragen
Während eines Streits nachzufragen, ob eine Aussage richtig verstanden wurde und tatsächlich so gemeint war, kann Wunder wirken. Zum einen wird dem Gegenüber signalisiert, dass Interesse an seiner Meinung besteht, zum anderen kann einer Streiteskalation durch einen Strudel aus Missverständnissen vorgebeugt werden.
Aktiv Zuhören
Häufig werden dem anderen – beispielsweise, weil davon ausgegangen wird, ohnehin zu wissen, wie der Satz endet oder was eigentlich gemeint ist – Absichten unterstellt, was den Streit u. U. zum Eskalieren bringen kann. Um dem entgegenzuwirken ist es wichtig, aktiv zuzuhören. D. h., dass die Äußerungen des Partners aufmerksam verfolgt und beizeiten mit eigenen Worten zusammengefasst werden. Auf diese Weise wird Aufmerksamkeit und Wohlwollen demonstriert und Missverständnisse können vorzeitig beigelegt werden, da die Möglichkeit besteht, das vom anderen Verstandene zu revidieren und darzulegen, wie es tatsächlich gemeint war.
Verbale Streicheleinheiten
In Beziehungen ist wichtig, dass dem Partner sogar während eines Konflikts Zuneigung und Liebe entgegengebracht wird. Bei einem Streit sollte daher versucht werden, positive Eigenschaften hervorzuheben und nicht nur an vermeintlich Negativem herumzunörgeln. Hilfreich ist auch, dem Partner zu verdeutlichen, dass Kritik zum Wohle der Beziehung geäußert wird und nicht etwa, um ihn zu ärgern. Somit wird der Fokus auf das Paar gelegt und die Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Konfliktlösung begünstigt. Es sollte auch darauf geachtet werden, dass Körperhaltung und Mimik Zuneigung suggerieren (daher böse Blicke oder verschränkte Arme vermeiden).
VW-Regel
Der Grundgedanke dieses Prinzips ist, dass sich hinter jeder geäußerten Kritik ein Wunsch nach Änderung verbirgt. Kritik zu hören, ist allerdings für niemanden schön. Erst recht dann nicht, wenn sie von einem geliebten Menschen kommt. Daher sollte versucht werden, Vorwürfe umzuformulieren und in Wünsche zu verwandeln. Dadurch können kritische Äußerungen ihre negative Konnotation verlieren und zum Ausgangspunkt einer positiven Veränderung werden.
Einfühlsam und gewaltfrei kommunizieren
Der Psychologe M. B. Rosenberg befindet es für unerlässlich, sich in Streitsituationen „ehrlich und klar auszudrücken“. Um diesen Vorsatz einhalten zu können, sollten folgende Schritte berücksichtigt werden:
- 1. Sachliches, neutrales Schildern dessen, was beobachtet wurde
- 2. Wertfreie Mitteilung der dabei empfundenen Gefühle
- 3. Darlegung der zugrundeliegenden Bedürfnisse
- 4. Aufrichtige Bitte an den Partner, die Gefühle zu respektieren und den Bedürfnissen nachzukommen
Konflikttraining
All jene, die mit solchen und ähnlichen Anleitungen zur Selbsthilfe eher weniger anfangen können, haben die Möglichkeit, ein „echtes“ Streitseminar zu besuchen. Es gibt einige Privatinstitute, an denen Kurse angeboten werden, in denen Teilnehmer lernen können, ihre Rhetorik im Streitkontext zu verbessern und dadurch eine kultivierte und konstruktive Streitkultur entwickeln können.
Schon Johann Wolfgang von Goethe stellte fest, dass es in Ehen Streit geben müsse, da auf diese Weise viel über den anderen in Erfahrung gebracht werden könne…
Entsprechend sollte es in gut funktionierenden Beziehungen überhaupt nicht darauf ankommen, Auseinandersetzungen zu vermeiden, sondern vielmehr darum gehen, Streitigkeiten auf angemessene Weise auszutragen und Konflikte konstruktiv zu lösen.