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Emotionale Abhängigkeit in der Beziehung

emotionale Abhängigkeit - Wie Sie dagegen ankommen

Manchmal erscheint die eigene Partnerschaft plötzlich in einem völlig anderen Licht. Zumeist geschieht dies in jenen Situationen, in denen der Partner zum wiederholten Male eben das Verhalten an den Tag legt oder die Worte sagt, von denen er genau weiß, dass sie einen selbst schier zur Verzweiflung bringen. Der erste Schritt für die emotionale Abhängigkeit.

In solchen Momenten stellt sich für einen kurzen Augenblick Klarheit ein: Die Beendigung der Beziehung ist beschlossene Sache; wenn die Liebe keine Zufriedenheit mehr bringt, muss das eigene Glück woanders gesucht werden. Eine spontane Welle der Euphorie schwappt in einem auf … doch dann, wieder ganz plötzlich, kommen die alt bekannten Zweifel:

  • Wer bin ich schon ohne ihn/sie?
  • Was soll ich alleine mit meinem Leben anfangen?
  • Wer sorgt für mich und hilft mir, wenn ich jemanden brauche?
  • Würde ich überhaupt jemanden anderen finden?
  • Könnte ich nochmal eine andere Person so lieben?

Das Bedürfnis, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, ist verschwunden; Zweifel und Angst nehmen überhand. Die kurzweilige Euphorie wird von den Gedanken abgelöst, dass es so schlimm gar nicht ist. Dass die Beziehungsprobleme nur temporär sind, und daher schnell aus der Welt geschafft sein werden.

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Alle vorherigen Intentionen werden als naiv abgetan, als zu vorschnell und völlig unüberlegt. Schließlich obsiegt die Überzeugung, dass der Partner perfekt für einen selbst ist und ein Existieren ohne ihn völlig abwegig: Es erfordert sicherlich nur ein wenig eigene Anstrengung, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Inhaltsverzeichnis

Wenn die Liebe zum emotionalen Gefängnis wird

Trotz offenkundiger Unzufriedenheit in der Beziehung ist es für manche Menschen unmöglich, sich vom Partner zu lösen. Eine Trennung erscheint vollkommen unmöglich, da ein Leben ohne den anderen absolut unvorstellbar ist.

Im ersten Moment erscheint diese Schilderung keineswegs negativ; immerhin würden viele Beziehungen schon an ersten kleineren Hindernissen zerbrechen, würden die Partner nicht an ihrer Liebe festhalten und daran glauben, dass sie zueinander gehören. Tatsächlich ist es sogar durchaus förderlich für eine Beziehung, wenn die Partner bis zu einem gewissen Grad aufeinander angewiesen sind. Eine wechselseitige Bindung aneinander wirkt stabilisierend; es sollte jedoch stets darauf geachtet werden, dass beide auch unabhängig voneinander Vertrauen in die eigene Person haben und ihre Individualität bewahren.

Andernfalls kann eine starke Festlegung auf den Partner bedenkliche Ausmaße annehmen, gar in einer emotionalen Abhängigkeit enden. Als anschauliche, wenn auch drastische Allegorie, könnte die Sucht nach Rauschmitteln imaginiert werden:

Instinktiv sind sich Betroffene darüber im Klaren, dass das, was sie tun, ungesund ist; jedoch fühlen sie sich ausgeliefert und sehen keinen Ausweg aus der Abhängigkeit, da das Rauschmittel aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken ist. In der Regel sind im Falle einer emotionalen Abhängigkeit keine primären körperlichen Folgen zu erwarten, die psychischen Schäden, die verursacht werden, können hingegen immens sein – und zwar für beide Partner.

Wie genau äußert sich emotionale Abhängigkeit?

Im Folgenden einige Beispiele dafür, auf welche Art und Weise eine emotionale Abhängigkeit in Erscheinung treten kann:

  • ständige gedankliche Beschäftigung mit der Beziehung und dem Partner
  • Aufgabe dessen, was einen selbst ausmacht, um dem anderen möglichst gut zu gefallen & ähnlich zu sein
  • das eigene Selbstwertgefühl wird über den Partner definiert
  • Fehler werden hauptsächlich bei sich selbst gesucht
  • der Partner und alles, was er tut, werden idealisiert; er/sie scheint perfekt
  • Konflikten wird ausgewichen und Probleme werden tabuisiert
  • Unruhe, wenn der Partner nicht bei einem ist
  • zum Teil starke Eifersucht, die zumeist Kontrollhandlungen mit sich bringt (Anrufe, Ausspionieren etc.)
  • nur die Gegenwart des Partners scheint erstrebenswert, weshalb zunehmende soziale Isolation resultiert
  • extremes Klammern
  • eine Trennung wird nie ernsthaft in Erwägung gezogen; im Gegenteil: der Gedanke daran ängstigt

Ursachen für die Entstehung emotionaler Abhängigkeit

Unzureichendes Urvertrauen
Der Begriff stammt aus der Tiefenpsychologie und bezeichnet ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, das sich bereits in frühen Lebensjahren ausbildet. Es wird gefördert durch stabile, fürsorgliche und verlässliche Bindungen zu den dauerhaften Bezugspersonen. Gut ausgeprägtes Urvertrauen stärkt das eigene Selbstwertgefühl, das Vertrauen auf andere Menschen und das Umfeld im Allgemeinen sowie auf die eigene Person.

Ist die Bindung zu Bezugspersonen jedoch von Vernachlässigung, Ambivalenz, Unzuverlässigkeit oder gar Misshandlung geprägt, kann sich das Urvertrauen nicht angemessen ausbilden, was unter anderem auch Bindungsprobleme und den Hang zu emotionale Abhängigkeit im Erwachsenenalter mit sich bringen kann.

Dependente Persönlichkeit
Das Vorhandensein einer abhängigen Persönlichkeitsstörung hat ebensolche Symptome zur Folge, wie sie typischerweise im Rahmen einer emotionalen Abhängigkeit auftreten. Der Betroffene klammert sich an den Partner, ist misstrauisch, hat ein nur gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl und starke Trennungsängste; das Verhalten ist passiv, anhänglich und unterwürfig.

Freilich, nicht jedem emotional Abhängigen muss gleich eine derartige Diagnose unterstellt werden, häufig jedoch liegt sie dem Erscheinungsbild zugrunde. Auch bei psychisch Gesunden können dependente Persönlichkeitsanteile vorhanden sein, die sie zu emotionaler Abhängigkeit in Beziehungen neigen lassen. In solchen Fällen allerdings bei Weitem nicht so ausgeprägt, wie bei einer Störung.

Ablehnung
Wurde in der eigenen Lebensgeschichte irgendwann einmal Ablehnung durch Personen erfahren, die einem selbst viel bedeutet haben, kann dies die eigene Bindungsfähigkeit aus dem Gleichgewicht bringen. Stets begleitet einen die Angst, erneut enttäuscht, verlassen oder abgelehnt zu werden.

Emotionale Abhängigkeit - Schlechte Erfahrungen verzerren noch schlimmeren Erfahrungen
Emotionale Abhängigkeit – Schlechte Erfahrungen verzerren noch schlimmeren Erfahrungen

Da bereits erfahren wurde, wie schmerzhaft derartige Anwandlungen sein können, möchte das wiederholte Aufkommen eines derartigen Gefühls tunlichst vermieden werden. Daher wird alles daran gesetzt, Menschen zu halten, die einem etwas bedeuten. Das Vorhandensein solcher Erfahrungen kann die Entwicklung einer emotionalen Abhängigkeit befördern.

Falsches Verständnis von Liebe
Die Frage, ob Liebe ohne ein gewisses Maß an Abhängigkeit überhaupt funktioniert, kann nur schwierig beantwortet werden. Immerhin ist das Einlassen auf eine Beziehung tatsächlich nie völlig frei von wie auch immer gearteten Abhängigkeiten. Sobald eine ernsthafte Partnerschaft eingegangen wird, entwickelt sich unweigerlich das Gefühl, den anderen für das eigene Glück zu brauchen.

Wenn diese eigentlich positive Dependenz nun aber verabsolutiert wird, also keine Individualität und kein Eigenleben mehr zugelassen werden, resultiert unweigerlich emotionale Abhängigkeit. Besteht insgeheim die Überzeugung, dass Beziehungen aus einer derartige Aufopferung oder gar Unterwerfung bestehen müssen, um von wahrer Liebe sprechen zu können, ist das gesunde Maß längst überschritten.

Wege aus dem emotionalen Gefängnis

Häufig ist Betroffenen das eigene Verhalten nicht oder nur begrenzt bewusst. Daher ist es in Beziehungen wichtig, regelmäßig Bilanz über die eigene Zufriedenheit zu ziehen. In gemeinsamen Gesprächen sollte beiden Partnern erlaubt sein, offen darüber zu sprechen, ob sie sich in der Beziehung noch wohlfühlen, glücklich sind und so weitermachen wollen. Fühlt sich hierbei einer von beiden eingeengt, sollte gemeinsam versucht werden, einen gesunden Mittelweg zu finden, mit dem alle Beteiligten leben können. Wichtig ist hierbei v. a. den abhängigen Partner ehrlich davon zu überzeugen, dass er geliebt wird und seine Bedenken, plötzlich und ohne Grund verlassen zu werden, unbegründet sind.

Von besonderer Bedeutung ist aber, dass zur Eigenständigkeit zurückgefunden wird. Abhängige sollten sich darauf besinnen, was sie ausmacht und öfter das tun, was sie glücklich stimmt. Bestenfalls merken Betroffene schnell, was ihnen entgeht, wenn das Leben ausschließlich auf den Partner reduziert wird. Sie entdecken, wie viel Freude es bringen kann, eigenen Interessen und Hobbys nachzugehen.

Außerdem sollte wieder Vertrauen in die eigene Person gewonnen werden. Etwas für sich zu tun oder alleine Dinge zu unternehmen, sollte einen darin bestärken, dass es durchaus möglich ist, sein Leben selbstbestimmt zu meistern – auch ohne Partner.

Betroffene sollten sich vergegenwärtigen, wie wertvoll ein Leben in emotionaler Unabhängigkeit ist. Dies schließt überhaupt nicht aus, sich auf die Beziehung und den Partner einzulassen; es bedeutet lediglich, seine Individualität zu bewahren und sich nicht von der Bestätigung oder Anerkennung des Partners abhängig zu machen oder sich an ihn zu klammern.
Schließlich ist die Gewissheit, dass der geliebte Mensch aus freien Stücken bei einem ist, viel schöner, als ein Festhalten um jeden Preis.

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3 Kommentare

  1. Sehr informativer Artikel, danke! H.P. Röhr hat ein aufschlussreiches Buch zu dem Thema geschrieben, das ich gerade lese …

    I. Kollak

  2. Titel des Buches ist „Wege aus der Abhängigkeit: Destruktive Beziehungen überwinden“.
    Das Buch ist im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen, du findest es auf Amazon.
    http://www.amazon.de/Wege-aus-Abh%C3%A4ngigkeit-Destruktive-Beziehungen/dp/3423344636